Mit Headset auf Erkundungstour in der „Villa Gründergeist“
In der „Villa Gründergeist“ im Gärtnerweg können sich Besucher:innen demnächst auf Spurensuche begeben: Das Künstlerduo profikollektion gestaltet eine dauerhafte Installation mit Audiowalk zur Geschichte des Hauses als jüdisches Mädchenpensionat während der NS-Zeit.
Die Gründerzeitvilla im Gärtnerweg 62 im Frankfurter Westend diente 1939 bis 1940 als Wohnheim für jüdische Mädchen. Als an öffentlichen Schulen 1938 keine jüdischen Kinder mehr unterrichtet werden dürfen, nimmt Hausbesitzerin Hedwig Levi-Michel Mädchen aus der Umgebung auf, um ihnen den Besuch einer jüdischen Schule in Frankfurt zu ermöglichen. Im Jahr 1940 geht sie in die USA, und die zwischen 8 und 14 Jahre alten Kinder werden umquartiert. Nur wenige von ihnen überleben den Holocaust. Dieser Teil der Geschichte des Hauses soll jetzt bewahrt und öffentlich werden: Das Künstlerduo profikollektion erhält dafür eine Förderung des Frankfurter Kulturamtes und des heutigen Hauseigentümers Bistum Limburg.
Bereits im Jahr 2019 hatten Katja Kämmerer und Jan Deck, alias profikollektion, die Geschichte des Hauses und der jüdischen Mädchen erkundet. Daraus entstand die Installation und Performance „(das) Heim“, die an vier Abenden im Juni 2019 zu sehen war und auf großes Interesse stieß. Damals befand sich die Villa gerade im Umbruch: Das „Haus der Begegnung“ wurde nach gut 50 Jahren umgestaltet zur heutigen „Villa Gründergeist“, einem Coworkingspace, Social Hub und kirchlichen Innovationszentrum. Die Räume waren leer und dienten als Bühne für die „ortsbezogene Installation und Performance“, wie es im Veranstaltungsflyer hieß. „Heute wäre das schwer umzusetzen, da sich rund 50 Personen im Coworkingbereich des Hauses fest eingebucht haben und zudem weitere Gruppen das Haus für Workshops, Seminare und Events nutzen“, erklärt David Schulke, Leiter der Villa Gründergeist.
Doch die Villa wäre nicht das „Versuchslabor mit Retrocharme“, wie sie kürzlich treffend charakterisiert wurde, fände sich nicht dennoch eine Lösung für das Projekt, die auch im laufenden Betrieb funktioniert. Es ist ein Audiowalk, eine Art mobiles Hörspiel durch Haus. Kombiniert mit Ausstellungsstücken im und am Haus soll er Informationen in unterschiedlicher Tiefe anbieten und leicht abrufbar machen. „Wir planen unterschiedliche Touren: Von einem rein digitalen Erlebnis draußen vor der Türe oder zu Hause bis zu einem größeren Rundgang durchs Haus zu bestimmten Öffnungszeiten“, erklärt Jan Deck.
Dabei sollen sich Besucher:innen auch selbst auf die Suche begeben. „Wir stellen uns Hinweise vor, die an besonderen und gut zugänglichen Orten im Haus installiert werden und die auf unterschiedliche Weise die Geschichte der Mädchen erzählen“, erklärt Katja Kämmerer.
Zahlreiche Fundstücke hat profikollektion schon zusammengetragen. Besonders nah kamen sie den Mädchen durch ein Fotoalbum, das sie im Archiv des amerikanischen Leo Baeck Institutes aufstöberten. Sie suchen weiter: "Gibt es noch Nachkommen der Familien der Mädchen, die etwas über sie oder ihre Zeit in Frankfurt erzählen wollen? Oder Menschen, die etwas über die jüdische Geschichte des Hauses im Gärtnerweg 62 oder seine Eigentümerin Hedwig Levi-Michel wissen?“, so Katja Kämmerer. Noch ist Zeit, zu berichten und zu sammeln, denn die Arbeit am Audiowalk läuft. Die beiden Künstler freuen sich wenn Zeitzeug:innen sich melden. Bis Ende des Jahres soll sie beendet sein. Das Frankfurter Kulturamt und das Bistum Limburg finanzieren das Projekt.
Über das Künstlerkollektiv profikollektion
Katja Kämmerer und Jan Deck haben in letzter Zeit mehrfach mit Audiowalks Geschichte ins hier uns jetzt übersetzt und zugänglich gemacht. Zuletzt war von ihnen die Arbeit „Wilde werden – MenschenSchauen im Zoo“ im Frankfurter Zoo zu sehen. Sie thematisierten sogenannte Völkerschauen, die von 1878 bis 1931 dort stattgefunden haben und bei denen Menschen als „Wilde“ ausgestellt wurden. Mehr Informationen unter www.profikollektion.de.