Wie Unternehmen gesellschaftliche Probleme lösen wollen
Soziale Wirkung und wirtschaftlicher Nutzen sollten einhergehen
Von Lisa Konstantinidis (KNA)
Jobs für frühere Drogenabhängige oder Sportkleidung ohne Plastik - manche Unternehmen wollen zur Lösung gesellschaftlicher Themen beitragen. Wie das gelingen kann, erklären ein Sozialunternehmer und ein Gründungsberater.
Frankfurt (KNA) Ihre Ziele sind groß, ihre Mittel oft bescheidener: Sozialunternehmen wollen ganze Branchen verändern und Menschen zum Umdenken bewegen. Sozialunternehmer Christoph Behroz und Gründungsberater Patrick Mijnals sind aus unterschiedlichen Perspektiven täglich mit den Chancen und Herausforderungen dieser Idee konfrontiert. Darüber sprechen sie im Doppelinterview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
KNA: Herr Mijnals, Sie unterstützen als Gründungsberater gezielt Sozialunternehmen. Was unterscheidet soziale denn von klassischen Unternehmen?
Patrick Mijnals: Grundsätzlich ist ein Sozialunternehmen ein Unternehmen, das eine gesellschaftliche Herausforderung unternehmerisch zu lösen versucht. Das ist auch der große Unterschied zum klassischen Ansatz von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), bei dem man etwa Spenden einsammelt, um Projekte voranzubringen. Beim Sozialunternehmertum geht es darum, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu kreieren, für die jemand zahlungsbereit ist. Das muss nicht immer die Zielgruppe selbst sein, das Geld kann auch von einer Stiftung oder von staatlicher Seite kommen. Wichtig ist aber, Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die gesellschaftliche Wirkung erzeugen. Der Unterschied zu anderen Startups oder klassischen Unternehmen besteht darin, dass das im Kern eines Sozialunternehmens steht. Ein Produkt wird speziell kreiert, um ein soziales Problem zu lösen.
KNA: Wie kann so etwas konkret aussehen?
Mijnals: Es gibt ein schönes Beispiel von einem Mitglied beim Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND). Das Sozialunternehmen namens Heyho stellt Müsli her. Dort heißt es immer: "Wir stellen keine Leute an, um Hafer zu rösten, sondern wir rösten Hafer, um Leute anzustellen." Das Unternehmen stellt Menschen ein, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chancen haben - weil sie früher etwa drogenabhängig waren, im Gefängnis saßen oder psychische Erkrankungen haben. Das Produkt von Heyho wird ganz normal in Geschäften verkauft, existiert aber nur, um dieses soziale Problem zu lösen.
KNA: Sozialunternehmer sprechen mit Blick auf die Wirkung ihrer Unternehmen gerne von "Impact". Woran macht Vidar Sport seinen "Impact" fest, Herr Behroz?
Christoph Behroz: Unser langfristiges Ziel ist, dass Sportbekleidung in ferner, schöner Zukunft nicht mehr aus Plastik besteht. Momentan ist das Standard und besonders die Verschmutzung durch Mikroplastik ein Problem.
Wir wollen dabei helfen, dass das irgendwann nicht mehr so ist. Unsere Sportkleidung besteht aus Materialien, die aus Holz oder Algen gewonnen werden. Es ist unrealistisch zu glauben, dass Vidar Sport irgendwann der Platzhirsch ist, der das ganze Thema beherrscht. Aber wir können einen Anstoß geben, der vielleicht die Branche zur Transformation bewegt.
Mijnals: Das ist ein typisches Muster vieler Sozialunternehmen. Die meisten sind selbst zu klein, um einen kompletten Branchenwandel oder gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Aber sie können einen Anstoß geben, um andere Akteure dazu zu bewegen. Viele Sozialunternehmer werden auch politisch aktiv, weil sie merken, dass es neben einem Bewusstseinswandel in den Köpfen auch regulatorische Veränderungen braucht.
KNA: Welche Rolle spielen Gewinn und Wirtschaftlichkeit für ein Sozialunternehmen, wenn der Unternehmensfokus so auf gesellschaftlicher Wirkung liegt?
Behroz: Wenn ich Sozialunternehmer bin, muss soziale Wirkung und wirtschaftlicher Nutzen Hand in Hand gehen. Ich habe nichts davon, wenn ich in sechs Monaten pleite bin, aber im Sinne der Sache alles richtig gemacht habe. Dann ist mein "Impact" gering. Folgendes Beispiel: Vidar Sport produziert in Portugal. Uns sind faire Arbeitsbedingungen und kurze Wege wichtig, deswegen würden wir beispielsweise nie in Bangladesch produzieren. Aber warum produzieren wir dann nicht gleich in Deutschland? Weil es uns hier das Drei- bis Vierfache kostet. Und an dieser Stelle müssen wir abwägen: Rechtfertigen noch bessere Bedingungen in Deutschland, dass wir unsere Produkte schlechter verkaufen können, weil wir sie teurer anbieten müssen? Für uns war klar, dass Portugal der richtige Standort für die Produktion ist.
KNA: Welche weiteren Herausforderungen beschäftigen Sozialunternehmen in der Regel besonders?
Behroz: Grundsätzlich gibt es immer 1.000 kleine Baustellen für ein Sozialunternehmen. Für uns war jedoch die größte Herausforderung, sich vom Markt abzugrenzen und zu erklären, wofür wir stehen. Nachhaltig steht heute gefühlt auf jedem Produkt. Ich werde fast täglich gefragt, was Vidar Sport denn anders macht. Dann heißt es, die großen Sportmarken sind doch auch nachhaltig. Dann muss ich erklären, dass diese großen Marken mit Polyester arbeitet, das Mikroplastik abgibt, oder Chemikalien verwendet werden, die man nicht auf der Haut haben möchte. Es braucht viel Erklärungs- und Überzeugungsarbeit, weil das Problem, das wir lösen wollen, nicht offensichtlich ist. Jeder hat mittlerweile verstanden, dass Fliegen nicht gut fürs Klima ist oder wir weniger Fleisch essen sollten. Aber kaum jemand hat bisher darüber nachgedacht, warum gängige Sportklamotten nicht gut sind.
Mijnals: Aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung, vom Erkennen eines Problems ins Handeln zu kommen. Ein Unternehmen zu gründen ist kein Thema, das in Schulen oder Universitäten vermittelt wird. Wenn jemand trotzdem gegründet hat, geht es häufig um operative Fragen: Wie fange ich an, wie vernetze ich mich? Schnell geht es auch um Geld und die Frage, wie man Zugang zu Kunden bekommt. Das beschäftigt Sozialunternehmen häufig.
KNA: Wo kommen Sozialunternehmen weiter, wo andere Akteure oder Institutionen an ihre Grenzen stoßen?
Mijnals: Ein Sozialunternehmen besitzt eine Form von Unabhängigkeit, die andere Akteure nicht haben. Einer NGO mag es "leichter" fallen, Entscheidungen ausschließlich im Sinne der Nachhaltigkeit oder ihres speziellen Ziels zu treffen. Eine solche Organisation ist aber auch immer von Spenden abhängig. Ein Sozialunternehmen hat ein Geschäftsmodell mit Produkten oder Dienstleistungen, die verkauft oder vermietet werden - damit ist ein Unternehmen unabhängig von Spendern oder Förderungstrends. Ein Sozialunternehmen kann theoretisch auf einen Weltmarkt drängen oder für Investoren interessant werden. Damit hat es mehr Möglichkeiten als etwa eine NGO, Wirkung zu entfalten.
KNA: Stichwort Investoren: Sind Sozialunternehmen in den vergangenen Jahren interessanter geworden für Geldgeber?
Behroz: Prinzipiell sehe ich einen positiven Trend, dass Investoren bereit sind, für Wirkung Geld in die Hand zu nehmen. Das unterliegt aber Schwankungen. Momentan sind wir mit der aktuellen Wirtschaftslage und dem Ukraine-Krieg in einem Investitions-Tal. Vidar Sport hat Ende 2023 eine Finanzierung einsammeln können. Bei unserer Suche nach einem Geldgeber haben wir aber oft gehört, dass unsere Idee zwar sehr gut ankommt, aber der Zeitpunkt ungünstig ist. Das ist frustrierend, zeigt aber auch, dass Sozialunternehmen ebenfalls von wirtschaftlichen Schwankungen abhängig sind.
KNA: Spielt die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen sozial orientierten Akteuren für Sozialunternehmen eine größere Rolle als für klassische Firmen?
Behroz: Wahrscheinlich schon. Im Fall von Vidar Sport haben wir von Anfang an gesagt, dass wir einen gewissen Prozentsatz unseres Umsatzes spenden wollen. Zu Beginn haben wir mal hier, mal da gespendet. Irgendwann sind wir auf das Sozialunternehmen Plastic Fisher gestoßen, das mit einfachen Mitteln Plastikmüll aus Flüssen in Asien sammelt. Das hat perfekt gepasst: Wir vermeiden Plastik und können jemanden unterstützen, der Plastikmüll aus dem Wasser fischt. So hilft man sich gegenseitig. Die haben uns auch Türen geöffnet, weil sie natürlich auch vernetzt sind. Dieser Netzwerk- und Mindset-Gedanke hilft extrem und macht in meinen Augen auch den Unterschied zu anderen Gründungen aus.
KNA: Der Umgang mit Konkurrenz ist demnach auch ein anderer als bei klassischen Unternehmen?
Mijnals: Sozialunternehmer überlegen eher, mit wem sie noch kooperieren können. Kann ein Konkurrent vielleicht noch weiterhelfen, ein Problem besser zu lösen? Selbst das Wort Konkurrent hört man eher selten. Es wird viel mehr geschaut, wie man zusammenarbeiten und beispielsweise Lieferungen zusammenlegen kann. Da unterscheidet sich der Sozialunternehmer vom klassischen Unternehmer. Ein Sozialunternehmer richtet seinen Blick immer auf die Gesellschaft und das große Ganze.
Die Veröffentlichung hier erfolgt mit freundlicher Genehmigung der KNA.