Von Knall, Kraft und Kontemplation
Knall, Kraft und Kontemplation
Um die Bombe gleich am Anfang dieses Berichts über den diesjährigen Pilgertag der Villa Gründergeist platzen zu lassen: die Nussecken im Kloster St. Hildegard werden nicht für alle reichen. Die andere Bombe des Tages ist eine echte Weltkriegsbombe, 500 Kilo schwer, ein Blindgänger. Sie wird im Laufe unseres Communitytages in Rüdesheim ganz in der Nähe kontrolliert gesprengt. Da werden wir uns gerade in einem Labyrinth befinden. Aber eins nach dem anderen.
Der Wunsch nach einem Pilgertag bestand auch dieses Jahr wieder in der Community. Die Initiative ging unter anderem von Vanessa Nord und Agnesa Kolica aus, bei denen wir uns hiermit nochmal herzlich für den Impuls dazu bedanken. Sie haben der Community und dem Team der Villa Gründergeist eine Auszeit von der täglichen Workload verschafft und uns neue Kraft tanken lassen. Und jede Menge Spaß.
Und jedem Hörsturz wohnt ein Zauber inne
Als Pilgerbegleiterin fragten wir Anke Jarzina vom Bistum Limburg, uns uns durch den Tag zu begleiten. Eine glückliche Fügung, denn Anke ist nicht nur Pastoralreferentin, sondern selbst Gründerin! Anke hat die Outdoor-Seelsorge aus der Taufe gehoben und bietet Einzelpersonen sowie Gruppen an, geleitete Wanderungen und Pilgerwege zu begleiten. Die Idee entstand in einer persönlichen Krise, in der sie sich nach einem Hörsturz und dessen Folgen befand. Wie weiterarbeiten? Wie weiter mit Workload, Abgaben und Arbeitsstress umgehen? Anke fand einen Weg und gründete lebensmark, eine online Plattform für die Outdoor-Seelsorge. Auch Trauerbegleitung bietet sie an. lebensmark steht für bewusst, verbunden, leben. Nun geht sie ihren Weg und wir an diesem Tag mit ihr.
Co-Worker:innen auf neuen Wegen in den Weinbergen
Angekommen am Bahnhof in Rüdesheim wählen wir als echte Touris erstmal den direkten Weg durch die kleinen Gassen der Altstadt, vorbei an der Drosselgasse, unter der Seilbahn hindurch, direkt in die Weinberge. Und bekommen unseren ersten Impuls von Anke, ein Kennenlernspiel in der Gruppe. Durch Klatschen, direktes Anschauen und Wiederholen lernen wir die Namen der Anderen kennen, alte und neue Gesichter sind dabei. Nach der Aufwärmübung sitzen die Namen schon mal. Und weiter geht es, Anke hat ein kleines Samttütchen für uns dabei, jeder darf sich ein Objekt ziehen, aber diesmal ist es eine Partner:innenübung, denn wir stellen uns nicht selbst vor, sondern unser Gegenüber und das mit Bezug zum Objekt. Das kann mitunter sehr überraschend sein, was man da voneinander erfährt, vor allem wenn man sich noch nicht kannte.
Pilgern ist Innehalten in Bewegung
Nun sind wir zusammengekommen, um in der Community zu pilgern, also beginnen wir unseren Weg. Immer aufwärts geht es über die Weinberge, unser Ziel ist das Kloster St.Hildegard rund 3 km entfernt. Dort soll es die besten Nussecken geben. Für Viele ist das eine Motivation, den Weg auf sich zu nehmen. Und es wäre nicht Pilgern mit Anke, wenn wir nicht eine kleine Aufgabe von ihr mit auf unseren Weg bekommen würden. Der neue Impuls sorgt für Schweigen in der Gruppe. Ab jetzt werden wir den Weg für einen längeren Abschnitt ebenso verbringen. „Nehmt Eure Umgebung bewusst wahr. Seht die Vielzahl an Grüntönen der Natur, hört die Töne, die aus ihr kommen, hört genau hin. Und wenn ihr etwas seht am Wegesrand, das euch auffällt, so nehmt es mit, wir schauen es uns später gemeinsam an,“ leitet sie uns an. Gesagt getan. Wir hören hin, sehen bewusst und finden Dinge. Schweigend ziehen die pilgernden Co-Worker:innen mit gefundenen Blümchen, Zweigen oder Plastikhandschuhen weiter durch die Weinberge, bis wir zu einer Straße kommen. Hier werden wir wieder daran erinnert, was sich in unmittelbarer Nähe zu uns abspielt, denn der 500 Kilo Findling ist noch nicht entschärft: An uns fährt der Kampfmittelräumdienst der Feuerwehr des Rheingau-Taunus-Kreises vorbei. Auch schweigend, aber das kann reiner Zufall sein.
Kontemplation, Klostercafé, Krypta, Kolumbarium — wir wollen Nussecken!
Mit geschärften Sinnen erreichen wir die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard. Jeden Mittag finden dort das Mittagsgebet statt. Gesungen von den Ordensfrauen der Abtei. Wir nehmen an der sehr kontemplativen Unterbrechung teil und es lässt sich an uns selbst schon ein Unterschied bemerken. Wir sind ruhiger geworden als wir die große Abteikirche in Richtung Klostercafé verlassen. Unruhe kommt erst wieder auf, als wir feststellen, dass es nur noch einige wenige Nussecken für uns gibt. Die letzten Exemplare kaufen wir restlos auf und wie es sich gehört, wird anschließend im Klosterhof geschwisterlich geteilt. Eine Ausstellung vor Ort gibt uns auch weiteren Einblick in die Umbrüche, die der Benediktinerinnenabtei bevorstehen. Im Kunstkeller besuchen ein paar von uns eine Ausstellung dazu. Studierende für Innenarchitektur der Hochschule Mainz, zeigen ihre Entwürfe für ein Kolumbarium in der Krypta von St. Hildgard. Auch vor dem ehrwürdigen Kloster mit seinen engagierten ordensfrauen machen die großen Transformationsumbrüche nicht halt.
In der Ferne ein Knall
Anke scheint über besondere Connections zu verfügen. Dank ihr erhalten wir einen Schlüssel zum großen Garten des Klosters und zum Klosterlabyrinth, das eigentlich den Übernachtungsgästen des Gästehauses vorbehalten ist. Wir versammeln uns unter einem schattigen Walnussbaum, von hier ist der Ausblick vom Kloster über das Rheingautal mit freiem Blick auf den Fluss wunderschön. Wir genießen ihn. Ein letzter Impuls, der gemeinsame Gang ins Labyrinth. Das Labyrinth ist ein auf den Boden markierter Weg mit Linien und wechselnden Richtungen dessen Abschreiten vorgegeben ist. Er lässt sich als Symbol lesen, für all die Irrungen und Wirrungen des Lebens, für die es einen scheinbar vorgezeichneten Weg gibt. Auch und besonders von Gründer:innen, denn diese befinden sich nun mittendrin. Anfang und Ziel werden eins. Bedächtig und in Stille laufen wir ihn ab. Und ganz aus der Ferne erklingt ein dumpfer Knall.
Hintergrund
Outdoor-Seelsorge ist Naturcoaching auf Anfrage - Anke Jarzina
Ausgebildet als Theologin und Seelsorgerin, beim "NABU" als Naturführerin und bei der Pilgerstelle des Bistums Limburg zur Pilgerbegleiterin. Die Angebote sind kostenfrei. Weitere Infos, Angebote und Termine: www.lebensmark.de
Transformation und Klosterleben: Benediktinerinnenabtei St. Hildegard
Die Abtei St. Hildegard ist ein Benediktinerinnenkloster in Eibingen bei Rüdesheim im Bistum Limburg. Seit hundert Jahren widmen sich die Ordensfrauen dem geistlichen und kulturellen Erbe Ihrer Klostergründerin und Patronin, der Heiligen Hildegard von Bingen. Seit 2002 ist die Abtei Teil des UNESCO-Welterbes Oberes Mittelrheintal. Die Abtei St. Hildegard ist eines von 17 ausgewählten Projekten des Förderprogramms Nationale Projekte des Städtebaus des Bundesbauministerium. Es entsteht ein Pilotprojekt mit Hilfe der Bundesförderung. Ein Transformationsvorhaben mit dem Ziel einer programmatischen Erweiterung und Mitnutzung der gesamten Abtei.
https://abtei-st-hildegard.de/unsere-abtei-als-pilotprojekt-der-nationalen-projekte-des-staedtebaus/